2020er Jahre – Selbstvertretung stärken
Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sollen im Verein Lebenshilfe, in Politik und Gesellschaft mitreden und mitentscheiden können.

Für die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung ist es entscheidend, dass sie ihre Anliegen überall selbst vertreten können: im Verein Lebenshilfe ebenso wie in Politik und Gesellschaft. Im Bundesvorstand der Lebenshilfe reden und entscheiden sogenannte Selbstvertreter*innen bereits seit dem Jahr 2000 mit. Im Jahr 2019 startet die Bundesvereinigung ihre bundesweite Kampagne „Selbstvertretung – Na klar.“ und veranstaltet einen großen Selbstvertreter-Kongress in Leipzig. 500 Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nehmen teil und verabschieden die Leipziger Erklärung mit vielen wegweisenden Forderungen, die in den folgenden Jahren umgesetzt werden sollen. Die Bundesvereinigung will die Selbstvertreter*innen zu einer starken Säule der Lebenshilfe machen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist, erwachsene Geschwister von Menschen mit Behinderung zu unterstützen und sie für ehrenamtliches Engagement in der Lebenshilfe zu gewinnen.
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Die Jahre

Lebenshilfe erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus
„In der Nazi-Zeit wäre ich selbst ermordet worden! Nur aus einem einzigen Grund: Weil ich eine Behinderung habe.“ Das sagt Sebastian Urbanski anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar. Der Schauspieler hat das Down-Syndrom und gehört als Selbstvertreter dem Bundesvorstand der Lebenshilfe an. Gemeinsam mit der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt und weiteren Lebenshilfe-Vertreter*innen legt er an der Gedenkstätte in der Berliner Tiergartenstraße einen Kranz nieder. Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. An diesem Tag erinnert die Bundesvereinigung Lebenshilfe alljährlich an die etwa 300.000 kranken und behinderten Menschen, die damals in ganz Europa ermordet wurden. Sie galten als „Ballastexistenzen“ und wurden als „lebensunwert“ systematisch aussortiert.
Erfolgreicher Einsatz für ein besseres Betreuungsrecht
Im September legt das Bundesjustizministerium einen ersten Gesetzentwurf für ein neues Betreuungsrecht vor. Die Lebenshilfe fordert zusätzliche Änderungen, denn Menschen mit rechtlicher Betreuung können damit immer noch zu wenig selbst über ihr Leben bestimmen. Die Bundesvereinigung startet darauf eine erfolgreiche Kampagne: Bis zur Verabschiedung der Reform im März 2021 setzt sie so weitere Verbesserungen durch.
Kampf gegen Corona
Das Corona-Virus erreicht Deutschland. Um Infektionen zu vermeiden, sagt die Bundesvereinigung ihren für den 10. März geplanten Parlamentarischen Abend kurzfristig ab. Dann kommt es zum ersten Lockdown: Im ganzen Land werden Betretungsverbote für Einrichtungen wie Werkstätten und Wohnstätten, Kitas oder Schulen erlassen. Die Angst ist bei Menschen mit Behinderung besonders groß. Da sie häufig Vorerkrankungen haben, ist bei ihnen das Risiko höher, bei einer Ansteckung mit Covid-19 schwer zu erkranken. Seit mehr als einem Jahr kämpft nun die Lebenshilfe auf allen Ebenen, um die Folgen der Pandemie für Menschen mit Behinderung, ihre Familien und die Mitarbeitenden in Einrichtungen und Diensten abzumildern.
30 Jahre Lebenshilfe im geeinten Deutschland
Am 9. November 1990, genau ein Jahr nach dem Fall der Mauer, besiegeln rund 500 Delegierte in Marburg den Zusammenschluss der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit der erst vor wenigen Monaten gegründeten Lebenshilfe DDR. Rund 120 örtliche Lebenshilfen gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits in Ostdeutschland. Wegen Corona müssen die vielen Jubiläumsfeiern zum 30-jährigen Bestehen ausfallen.

Digitale Plattform für Geschwister modernisiert
Frisches Aussehen und mehr Funktionen: Fünf Jahre nach dem Start modernisiert die Lebenshilfe ihre preisgekrönte digitale Plattform www.geschwisternetz.de. Im August geht die überarbeitete Internetseite online. Dort können erwachsene Brüder und Schwestern von Menschen mit Behinderung ihre Erfahrungen austauschen. Neu ist auch, dass sich nun Geschwister ab 14 Jahren anmelden können.
Herausforderungen der Zukunft regional diskutiert
Lebhafte Diskussionen und viele gute Ideen – so lassen sich fünf Regionalkonferenzen zusammenfassen. Im Frühjahr kommen in Koblenz, Leipzig, Hannover und Hamburg insgesamt mehr als 250 Vertreter*innen der Lebenshilfe zusammen, um über die Herausforderungen der Zukunft zu sprechen. Ein weiteres Treffen, das ursprünglich in Ulm geplant war, kann wegen Corona nur online stattfinden. Vertreten sind die vier Säulen der Lebenshilfe: Eltern und Angehörige, Selbstvertreter*innen, Träger von Diensten und Einrichtungen sowie Fachleute. In Arbeitsgruppen wird etwa darüber diskutiert, was Selbstvertreter*innen brauchen, um sich aktiv beteiligen zu können. Oder wie die Marke „Lebenshilfe“ geschützt werden kann. Zentrale Fragen waren: Wie gewinnt die Lebenshilfe neue Mitglieder, tatkräftige Freiwillige und engagierte Vorstandsmitglieder? Welche Aufgaben nimmt die Lebenshilfe künftig wahr: vor Ort, in den Ländern und auf Bundesebene? Wie kann für alle Ebenen die Finanzierung gesichert werden? Und wie kann die Lebenshilfe in einer digitalen Welt ihre Inhalte in die Gesellschaft transportieren? Auf der Mitgliederversammlung im September sollen die Ergebnisse der Regionalkonferenzen präsentiert werden. Corona macht jedoch die Versammlung unmöglich.

Mehr wert als ein Danke
Die Initiative „Mehr wert als ein Danke“ übergibt am 19. November über 53.000 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Bundestages. Gerade die Pandemie legt schonungslos offen, dass sich die Rahmenbedingungen für Mitarbeitende in der Sozialwirtschaft ändern müssen: Bessere Arbeitsbedingungen, gerechte Löhne, mehr Wertschätzung und eine Corona-Prämie sind die Forderungen der Initiative, zu deren Unterstützer*innen auch die Lebenshilfe gehört.

Lesen Sie den Jahres- und Wirkungsbericht 2020 der Bundesvereinigung Lebenshilfe.