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Aktuelle Forderungen der Lebenshilfe an die Politik
Menschen mit Behinderung brauchen Unterstützung – damit alle gleichberechtigt teilhaben können. Die aktuell wichtigsten Forderungen der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Familien finden Sie hier.

Teilhabe für geflüchtete Menschen mit Behinderung

Der Krieg in der Ukraine bringt entsetzliches Leid über die ukrainische Bevölkerung. Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sind davon in besonderem Maß betroffen. Geflüchtete Menschen mit Behinderung müssen schnell und unbürokratisch die notwendige Unterstützung erhalten. Dazu gehört auch ihr Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe.
Der zeitnahe Zugang zu den Unterstützungsleistungen schafft notwendige Sicherheiten. Zugang zu Schule, Ausbildung und Angeboten der sozialen Teilhabe sowie der Teilhabe am Arbeitsleben bieten Stabilisierung und öffnen Perspektiven. Hierfür ist es dringend erforderlich, den § 100 Abs. 2 SGB IX aufzuheben. Nach dieser Vorschrift haben Menschen, die leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind, keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Zwar bewilligen manche Träger der Eingliederungshilfe entsprechende Leistungen nach einer Ausnahmeregelung im Asylbewerberleistungsgesetz, bei weitem jedoch nicht alle. Auch die medizinische Versorgung für geflüchtete Menschen muss grundsätzlich und bundesweit sichergestellt werden.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die konsequente Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) in nationales Recht. Das bedeutet insbesondere auch die Erhebung des Merkmals Behinderung bei der Aufnahme und die Ermittlung der Unterstützungsbedarfe (Art 21 und Art. 22 Abs. 1 der RiLi).
- Das Aufheben der aufenthaltsrechtlichen Zugangsbeschränkungen zu den Leistungen auf Rehabilitation und Teilhabe und die Streichung des § 100 Abs. 2 im SGB IX.
- Ein umfassendes Beratungs- und fachlich begleitetes Selbsthilfeangebot in den Muttersprachen der in Deutschland befindlichen geflüchteten und vertriebenen Menschen mit Behinderung.
Familien entlasten

Die zeitlichen Bedürfnisse von Familie, Schule und Arbeitswelt passen selten gut zusammen. Es gibt bundesweit zu wenig ganztägige inklusive Bildungs- und Betreuungsangebote, um den Bedarf zu decken. Ebenso fehlt es an Angeboten der Kinder- und Jugenderholung. Inklusiv ausgestaltet sind die wenigsten. Die Lösung lautet für viele Familien mit einem Kind oder Jugendlichen mit Behinderung deshalb häufig: Ein Elternteil arbeitet gar nicht oder in Teilzeit. In der Regel sind es die Mütter, die beruflich zurückstecken – mit den bekannten Auswirkungen für das aktuelle Familieneinkommen und die zukünftige Rente.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die zeitnahe Einführung der auch im Koalitionsvertrag bereits angekündigten neuen Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten. Die Leistung sollte steuerfinanziert nach dem Vorbild des Elterngeldes auch für Angehörige von Menschen mit Behinderung zur Verfügung stehen, die in bestimmten Lebensphasen Zeit für die Betreuung und Unterstützung ihrer Angehörigen benötigen.
- Die Einführung einer niedrigschwelligen Familienentlastungsleistung für alltagspraktische haushaltsnahe Unterstützungs- oder Betreuungsleistungen für belastete Familien.
Zu 1: Steuerfinanzierte Lohnersatzleistung für häusliche Pflege
Auch im Koalitionsvertrag ist angekündigt eine Förderung haushaltsnaher, familien- und alltagsunterstützender Dienstleistungen durch ein Zulagen- und Gutscheinsystem einzuführen. Davon sollen zunächst Alleinerziehende, Familien mit Kindern und zu pflegenden Angehörigen und dann schrittweise alle Haushalte profitieren.
Insbesondere Angehörige von Menschen mit Behinderung brauchen Zeit für Betreuung und Unterstützung. Dieser besondere Unterstützungsbedarf ist in bestimmten Lebensphasen mal mehr oder weniger stark ausgeprägt. Gerade in Übergangsphasen zum Beispiel von der Schule in den Beruf, beim Auszug aus dem Elternhaus oder bei Beginn eines neuen Unterstützungssettings, werden Mitglieder aus dem näheren oder weiteren familiären Umfeld besonders gebraucht. Damit das gelingt, muss nach dem Vorbild des Elterngeldes eine entsprechende Lohnersatzleistung geschaffen werden.
Zu 2: Niedrigschwellige alltagspraktische Begleitung und Entlastung für Familien
Es braucht eine niedrigschwellige alltagspraktische Familienentlastung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für belastete Familien mit Kindern mit und ohne Behinderung. Die bestehende steuerrechtliche Begünstigung der Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen schafft für geringverdienende Familien keine Entlastungsmöglichkeit.
Faire Pflege für Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung sind häufig auch pflegebedürftig. Sie benötigen dann Pflegeleistungen neben den Leistungen zur Teilhabe. Pflege- und Teilhabeleistungen ersetzen sich nicht, sondern ergänzen einander. Jede Reform der Pflegeversicherung muss die sensible Schnittstelle zur Eingliederungshilfe im Blick haben und den Fortbestand beider Leistungen ohne Leistungslücken sichern.
Seit Jahrzehnten kämpft die Lebenshilfe für eine Abschaffung des § 43a im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI). Nach dieser Regelung erhalten Menschen mit Behinderung, wenn sie in einem "Wohnheim" leben und mindestens Pflegegrad 2 haben, maximal 266 € von der Pflegeversicherung. Andere Versicherte erhalten Pflegegeld zwischen 316 und 901 € oder häusliche Pflegehilfe zwischen 724 und 2.095 €. Diese Ungerechtigkeit muss beendet werden. Menschen mit Behinderung sollen auch in sogenannten "besonderen Wohnformen" frei wählen dürfen, ob sie Pflegegeld erhalten oder einen Pflegedienst beauftragen wollen.
Für Familien mit Kindern mit Behinderung stellt vor allem die Verhinderungspflege eine wichtige Leistung dar. Sie ermöglicht eine vorübergehende Ersatzpflege zur Entlastung der Pflegeperson und kann flexibel, auch stundenweise, in Anspruch genommen werden. Der Koalitionsvertrag 2021 – 2025 verspricht, dass die Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem unbürokratischen, transparenten und flexiblen Entlastungsbudget mit Nachweispflicht zusammengefasst wird. Genau das braucht es. Denn der Anspruch auf Kurzzeitpflege läuft vor allem für junge Kinder – für die eine Trennung von den Eltern und eine stationäre Versorgung nicht in Frage kommt – zumeist ins Leere.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- § 43a Sozialgesetzbuch XI ist abzuschaffen. Pflegebedürftige Menschen mit Behinderung müssen die Leistungen der häuslichen Pflege unabhängig von ihrem Wohnort erhalten.
- Ein flexibles Entlastungsbudget, das die Leistungen der Verhinderungspflege und der Kurzzeitpflege für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen flexibel und auch stundenweise einsetzbar macht.
Zu 1: Pflegeversicherungsleistungen unabhängig vom Wohnort - § 43a SGB XI abschaffen
Schon lange fordert die Lebenshilfe die Abschaffung von § 43a Sozialgesetzbuch (SGB) XI. Danach beschränken sich die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung für Menschen ab dem Pflegegrad 2, die in einer Einrichtung nach § 43a SGB XI leben, auf einen pauschalen Höchstbetrag in Höhe von 266 Euro monatlich. Diese Pauschale ist mit der neuen, personenzentrierten Eingliederungshilfe nicht kompatibel. Es ist kaum noch darstellbar, wieso in dem einen Gesetz (SGB XI) die Leistungen von der Wohnform (stationär oder ambulant) abhängen, während es nach dem anderen Gesetz (SGB IX) hinsichtlich der Leistungen keine Unterschiede mehr zwischen den Wohnformen geben darf. Beide Systeme müssen endlich harmonisiert und die diskriminierende Regelung des § 43 a SGB XI abgeschafft werden.
Leider bleibt diese Forderung im neuen Koalitionsvertrag 2021 – 2025 gänzlich unberücksichtigt.
Inklusive Kinder- und Jugendhilfe

Endlich ist 2021 der erste Schritt zu mehr Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe ins Gesetz geschrieben worden. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag wird nun versprochen, dass "in einem Beteiligungsprozess mit Ländern, Kommunen und Verbänden notwendige Anpassungen zur Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe im SGB VIII erarbeitet und in dieser Legislatur gesetzlich geregelt und fortlaufend evaluiert werden sollen." Überdies sollen Modellprogramme auf den Weg gebracht und Verfahrenslotsen für Kinder und Eltern mit Behinderung von den Jugendämtern schon 2023 und unbefristet eingesetzt werden.
Die Lebenshilfe begrüßt diese Ankündigungen sehr und fordert, dass dieser Prozess nun zügig startet, damit spätestens zum 1. Januar 2028 tatsächlich das Jugendamt für alle Kinder und Jugendliche, ob mit oder ohne Behinderung, insgesamt zuständig wird.
Für die zukünftige Aufgaben- und die Angebotsvielfalt einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe müssen verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit das gelingt, ist eine deutliche Verbesserung der finanziellen, rechtlichen und personellen Ausstattung notwendig.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die Untersuchung zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe muss, partizipativ und ergebnisoffen auf den Weg gebracht werden. Der Beteiligungsprozess muss zeitnah starten und Betroffene, Verbände, Kommunen und Länder sind umfassend am Umsetzungsprozess zu beteiligen.
- Die Kosten für die Verwaltungsumstellung müssen bereitgestellt werden. Eine Umsetzung der inklusiven Lösung kann nur gelingen, wenn für die Mehrkosten der inklusiven Lösung genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
- Die Leistungen der Eingliederungshilfe für die Teilhabe und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung müssen künftig unabhängig von der Heranziehung zu Einkommen und Vermögen ihrer Eltern geleistet werden. Im Koalitionsvertrag steht bereits: "... wir wollen weitere Schritte bei der Freistellung von Einkommen und Vermögen gehen." Diese Schritte müssen die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung in den Blick nehmen.
Zu 1: Verbindliche Weichen für ein inklusives Sozialgesetzbuch VIII stellen
Die Regelung der Gesamtzuständigkeit sind einem künftigen Gesetz vorbehalten, das bis zum 31. Dezember 2027 verabschiedet werden soll. Die Zusammenführung der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe ist damit verknüpft. Zuvor soll eine Untersuchung durchgeführt werden, die den Weg für die inklusive Lösung vorbereitet. In § 107 im Gesetzentwurf heißt es, dass die Untersuchung zum Ziel hat, „den leistungsberechtigten Personenkreis, Art und Umfang der Leistungen sowie den Umfang der Kostenbeteiligung für die hierzu Verpflichteten nach dem am 1. Januar 2023 für die Eingliederungshilfe geltenden Recht beizubehalten“. Aus Sicht der Lebenshilfe darf damit die Umsetzung der inklusiven Lösung nicht auf eine Bereinigung der Schnittstellen beschränkt werden. Ziel der Untersuchung muss es sein, im Zusammenwirken mit Betroffenenorganisationen, den Fachkräften der Behinderten- und der Kinder- und Jugendhilfe, den Ländern und Kommunen sowie dem Bund die konkreten Regelungen für eine umfassende inklusive Lösung zu formulieren.
Erfreulicherweise findet sich zu dieser Forderung die folgende Passage im Koalitionsvertrag 2021 – 2025: „In einem Beteiligungsprozess mit Ländern, Kommunen und Verbänden sollen notwendige Anpassungen zur Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe im SGB VIII erarbeitet und in dieser Legislatur gesetzlich geregelt und fortlaufend evaluiert werden. Wir werden dafür Modellprogramme auf den Weg bringen und die Verfahrenslotsen schneller und unbefristet einsetzen… Pflegeeltern von Kindern mit Behinderungen wollen wir besonders unterstützen. Wir werden Angebote der Jugendhilfe bei der Digitalisierung unterstützen.“ (KV, Z.: 3290 – 3298).
Zu 2: Die inklusive Lösung gibt es nicht zum Nulltarif
Für die zukünftige Aufgaben- und Angebotsvielfalt einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe müssen verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit das gelingt, ist eine deutliche Verbesserung der finanziellen, rechtlichen und personellen Ausstattung notwendig. Die Zusammenführung der Leistungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe und die damit verbundene Praxisentwicklung kann es nicht zum Nulltarif geben.
Hierzu gibt es keine Aussage im Koalitionsvertrag 2021 – 2025.
Inklusive Arbeit fördern und gerecht vergüten

Arbeit ist ein zentraler Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ausbildung und Beschäftigung bieten für jeden Menschen die Möglichkeit, sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen. Menschen mit Behinderung haben aufgrund von Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) das Recht darauf, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen und in einem zugänglichen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Der Gesetzgeber muss weitere Anstrengungen zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes unternehmen, damit die durch die UN-BRK zugesicherten Rechte für Menschen mit Behinderung nicht nur theoretisch, sondern praktisch erleb- und anwendbar werden.
- Für die in Werkstätten und bei anderen Leistungsanbietern beschäftigten Menschen mit Behinderung ist eine auskömmliche Entlohnung sicherzustellen.
Zu 1: Inklusiven Arbeitsmöglichkeiten mehr fördern
Menschen mit Behinderung sind überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und für viele – gerade Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung – ist der allgemeine Arbeitsmarkt gänzlich verschlossen. Sie arbeiten stattdessen überwiegend in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf haben aktuell kaum Zugang zu beruflicher Teilhabe am Arbeitsleben. Ihnen wird ein „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit“ abgesprochen.
Die mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführten oder weiterentwickelten Instrumente wie das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung sowie die Einführung der anderen Leistungsanbieter haben bisher kaum Verbesserungen gebracht.
Im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 sind hierzu folgende Aussagen enthalten: „Wir legen den Schwerpunkt auf die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderungen… Wir werden das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung weiter stärken und ausbauen…Die Angebote von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) werden wir stärker auf die Integration sowie die Begleitung von Beschäftigungsverhältnissen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausrichten. Darüber hinaus entwickeln wir die Teilhabeangebote auch für diejenigen weiter, deren Ziel nicht oder nicht nur die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Wir werden Inklusionsunternehmen stärken, auch durch formale Privilegierung im Umsatzsteuergesetz.“ (KV, Z.: 2587 – 2615).
Zu 2: Einkommensmodelle für Menschen mit Behinderung weiterentwickeln
Das Entgelt bei einer Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) oder bei einem anderen Leistungsanbieter versetzt Menschen mit Behinderung nicht in die Lage, ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nach ihren individuellen Möglichkeiten sind die Menschen mit Behinderung allerdings im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung in der WfbM tätig. Die Höhe des Entgeltes bemisst sich nach der Höhe des Überschusses aus dem Arbeitsergebnis der WfbM. Hieraus kann kein den Lebensunterhalt sicherndes Entgelt gezahlt werden. Daher ist eine Weiterentwicklung ihrer Entlohnung dringend erforderlich.
Im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 ist die Forderung wie folgt aufgegriffen worden: „Wir werden das Beteiligungsvorhaben zur Entwicklung eines transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystems in den WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fortsetzen und die Erkenntnisse umsetzen.“ (KV, Z.: 2610 – 2612).
Diskriminierung verhindern

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sieht vor, dass die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbieten und geeignete Maßnahmen treffen, um Barrieren abzubauen. Deutschland hat das Abkommen bereits 2007 unterzeichnet. Dennoch fehlt es bislang an einer zufriedenstellenden Umsetzung. Deutschland muss in allen Lebensbereichen des öffentlichen und privaten Lebens barrierefrei werden. Dazu braucht es ein zügiges und engagiertes Vorgehen der Politik.
UN-BRKDie Vertragsstaaten verbieten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.
Artikel 5 | Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung
Neben dem Behindertengleichstellungsgesetz müssen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und zahlreiche Sondergesetze, wie das Gaststättengesetz, die Bauordnungen u.v.m. reformiert werden. Das Versprechen der Koalition, noch in dieser Legislaturperiode private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zum Abbau von Barrieren oder zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen zu verpflichten, muss zeitnah erfüllt werden.
Auch das Gesundheitswesen in Deutschland ist nicht barrierefrei. Zurzeit sind nur etwa 26 Prozent der Haus- und Facharztpraxen barrierefrei. Es müssen finanzielle Anreize geschaffen werden, um Ärzt*innen, Heil- und Hilfsmittelerbringer*innen sowie Apotheker*innen beim Umbau ihrer Praxen und Geschäftsräume zu unterstützen. Außerdem sollte die Neubesetzung eines Vertragsarztsitzes im Sinne des § 103 Absatz 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V grundsätzlich nur noch an barrierefreie Praxen erfolgen. Daneben muss der Umgang und die Behandlung mit körperlich, geistig oder psychisch beeinträchtigten Patient*innen systematisch in die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärzt*innen integriert werden. Darüber hinaus sollte die Selbstverwaltung in den Vergütungsvorgaben für Ärzt*innen und Heilmittelerbringer endlich angemessene finanzielle Zuschläge für die teilweise aufwändigere Behandlung von Menschen mit Behinderung vorsehen. Schließlich sind die Krankenkassen zu verpflichten, vermehrt Informationen über Gesundheitsleistungen in barrierefreier Form, beispielsweise in Leichter Sprache, zur Verfügung zu stellen.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Deutschland muss in allen Lebensbereichen des öffentlichen und privaten Lebens barrierefrei werden.
- Das Behindertengleichstellungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und zahlreiche Sondergesetze, wie das Gaststättengesetz, die Bauordnungen u.v.m. müssen reformiert werden, so dass auch private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zum Abbau von Barrieren oder zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen verpflichtet werden.
- Auch das Gesundheitswesen, d.h. Gesundheitseinrichtungen und Informationen über Gesundheitsleistungen, müssen barrierefrei werden. Das bedeutet gerade auch für Menschen mit geistiger Behinderung, dass das medizinische und pflegerische Personal mehr Zeit und Kenntnisse braucht, um bei der Behandlung auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingehen zu können.
Selbstbestimmung rechtlich betreuter Menschen weiter stärken

Zum 1. Januar 2023 tritt die im März 2021 verabschiedete Betreuungsrechtsreform in Kraft. Damit wird eine Verbesserung der Selbstbestimmung rechtlich betreuter Menschen herbeigeführt. Diese rechtliche Verbesserung muss nun konsequent umgesetzt und es müssen finanzielle Mittel dafür bereitgestellt werden.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Flächendeckend müssen bis zum 1. Januar 2023 unabhängige Beratungs- und Beschwerdestelle für Betreute entstehen.
- Eine Bundesfachstelle für unterstützte Entscheidungsfindung ist bis zum 1. Januar 2023 einzurichten.
- Im Gesetz muss eindeutig verankert werden, dass die rechtliche Betreuung keinen Einfluss auf die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit rechtlich betreuter Menschen hat.
- Die Ergebnisse der Evaluation des neuen Betreuungsrechts sind zeitnah zu veröffentlichen und die sich daraus ergebenden gesetzlichen Änderungen unmittelbar umzusetzen.
- Das Evaluationsergebnis der Anwendungspraxis der Sterilisationsregelung ist unmittelbar im Sinne der Selbstbestimmung rechtlich betreuter Menschen umzusetzen.
- Die Finanzierung der Betreuungsvereine muss auskömmlich gesichert werden.
Zu 1: Unabhängige Beratungs- und Beschwerdestelle für Betreute
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert, dass die vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages benannten noch zu klärenden Fragen zur Einrichtung von unabhängigen Beratungs- und Beschwerdestellen sehr zeitnah geklärt werden, damit die betreuten Personen bereits zum Inkrafttreten der Reform zum 1. Januar 2023 Anlaufstellen vorfinden.
Zu 2: Bundesfachstelle für unterstützte Entscheidungsfindung
Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat in seiner Empfehlung zur Betreuungsrechtsreform auch die Forderung der Lebenshilfe und weiterer Verbände aufgegriffen und die Einrichtung einer Bundesfachstelle für unterstützte Entscheidungsfindung befürwortet. Eine derartige Fachstelle muss Modellprojekte anstoßen und entsprechende Konzepte weiterentwickeln, indem insbesondere eine stärkere Vernetzung sowie der fachliche Austausch der verschiedenen Akteur*innen initiiert und aktiv gefördert wird. Die Reform des Betreuungsrechts muss vor dem Leitbild der unterstützten Entscheidungsfindung in Zukunft geprüft und weiterentwickelt werden.
Zu 3: Handlungs- und Geschäftsfähigkeit trotz rechtlicher Betreuung
Alle volljährigen Menschen haben das gleiche Recht auf Handlungs- und Geschäftsfähigkeit – egal ob mit oder ohne Behinderung. Die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit wird auch durch die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung nicht eingeschränkt. Diese Klarstellung fehlt nach wie vor im Gesetz und sollte dringend nachgeholt werden, um Fehleinschätzungen im Rechtsverkehr vorzubeugen.
Zu 4: Auf die Ergebnisse der Evaluation müssen schnell Taten folgen
Das neue Betreuungsrecht wird sechs Jahre nach seinem Inkrafttreten überprüft. Aus den erhobenen Daten müssen dann schnell Taten folgen. Die Ergebnisse der Evaluation sind daher umgehend zu veröffentlichen und dem Deutschen Bundestag zuzuleiten, damit das Parlament gegebenenfalls auch in Diskussionen mit einer breiten Fachöffentlichkeit feststellen kann, ob weiterer Änderungsbedarf besteht. Sollte das der Fall sein, muss der Gesetzgeber zeitnah handeln. ist.
Zu 5: Sterilisationsregelung
Unabhängig von der Gesamtevaluierung wird die Anwendungspraxis der Sterilisationsregelung nach altem Recht, § 1905 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), und nach der Neuregelung gemäß § 1830 BGB neue Fassung ein Jahr vor und ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Reformgesetzes evaluiert. Die gewonnenen Erkenntnisse sind unmittelbar und unabhängig von einer möglichen weiteren gesetzlichen Änderung des Betreuungsrechts umzusetzen.
Zu 6: Stärkung der Betreuungsvereine
Betreuungsvereine sind unverzichtbar. Insbesondere auch für den im Betreuungsrecht geltenden Vorrang ehrenamtlicher Betreuung. Daher muss neben der Vergütung für die Betreuer*innen insbesondere die Querschnittsarbeit der Betreuungsvereine, also das Anwerben und die Fortbildung von Ehrenamtlichen, dringend dauerhaft und angemessen finanziell abgesichert werden.
Teilhabe und Schutz in der Pandemie

Menschen mit Behinderung und andere vulnerable Gruppen waren und sind in besonderer Weise von der Corona-Pandemie betroffen. Während im Frühjahr 2022 für einen Großteil der Bevölkerung die Pandemie zur Nebensache wird, ist dies für Menschen mit Behinderung, die häufig wegen relevanter Begleiterkrankungen ein erhöhtes Risiko haben, schwer an Covid 19 zu erkranken, nicht der Fall.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe setzt sich für die allgemeine Impfpflicht ein, um Menschen mit Behinderung vor der Ansteckung mit Covid 19 wirksam zu schützen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern. Sie betrachtet die Entscheidung des Parlaments gegen die allgemeine Impfpflicht und die allgemeinen Lockerungen im Frühjahr 2022 mit Sorge, da sie für viele Menschen mit Behinderung genau das Gegenteil bedeuten, nämlich einen weiteren Verzicht an Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Testen und Maskentragen sind der Schutz, der den betroffenen Familien bleibt. Es ist daher unbedingt erforderlich, dass insbesondere eine breite Streuung der öffentlichen, kostenfreien Bürgertests weiter bestehen bleibt.
Viele Menschen mit Behinderung sind auf Assistenz zu Hause, in gemeinsamen Wohnformen oder bei der Arbeit angewiesen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbeitende in der Behindertenhilfe bisher von allen Corona-Bonuszahlungen ausgenommen sind, obgleich sie genauso Außerordentliches geleistet haben und eine finanzielle Anerkennung verdient haben, wie Pflegepersonal im Krankenhaus oder in der Altenhilfe.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe ist weiterhin besorgt im Hinblick auf mögliche Engpässe bei der medizinischen Versorgung. Immer wieder kommt es während der Pandemie in einigen Regionen Deutschlands zu Engpässen auf Intensivstationen und wichtige Operationen müssen verschoben werden. Auch ist es bereits zu diskriminierender Triage gekommen. Hier muss der Gesetzgeber schnellstmöglich Abhilfe schaffen.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren, um Menschen mit Behinderung vor der Ansteckung mit Covid 19 wirksam zu schützen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern.
- Der Fortbestand öffentlicher, kosten- und barrierefreier Bürgertests sowie die weitere Finanzierung von Tests in Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe.
- Die Einbeziehung von Mitarbeitenden der Behindertenhilfe in Corona-Prämien.
- Das Ergreifen aller denkbaren Maßnahmen zur Vermeidung von Triage und die zeitnahe partizipative Entwicklung einer gesetzlichen Grundlage zur Vermeidung von unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei Triage.
Armut behindert Teilhabe

Das Einkommen vieler Menschen mit Behinderung ist gering. Auch über finanzielle Polster und Vermögen verfügen sie oft nicht. Laut dem Zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung liegt das Armutsrisiko von Menschen mit Behinderung bei 20 Prozent. Sie sind ebenso wie etwa Alleinerziehende, pflegende Angehörige, kinderreiche Familien, Migrant*innen und zunehmend auch Rentner*innen besonders häufig von Armut betroffen. Aktuell wird die Situation durch die allgemeine Preissteigerung, Wohnungsmangel, massiv steigende Mieten vor allem in Ballungszentren sowie steigende Energiekosten noch weiter verschärft.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Regelsätze erhöhen: Die Regelsätze und die Beträge für die Kosten der Unterkunft müssen zeitnah an die gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten angepasst werden.
- Bezahlbaren und Barrierefreien Wohnraum schaffen: In der Musterbauordnung müssen strengere Vorgaben zur Anzahl von barrierefreien Wohnungen pro Gebäude verankert werden. Im sozialen Wohnungsbau sollte die Förderung davon abhängen, dass mindestens 10 Prozent barrierefreie Wohnungen entstehen. Das Programm „Altersgerecht umbauen" der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) muss dem wachsenden Bedarf entsprechend angepasst werden.
Zu 1: Regelsätze erhöhen
Die meisten Menschen mit einer geistigen Behinderung arbeiten in Werkstätten und haben ein sehr geringes Einkommen. Viele sind auf Grundsicherung angewiesen. Neben der knappen Situation zur Finanzierung der Grundbedürfnisse fehlt oft Geld zur Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben, weil einfach kein Geld da ist für einen Kinobesuch, für Zeitungen oder für den Besuch des Stadtteilfestes. Diese Situation verschärft sich aktuell durch die rasanten Preissteigerungen. Daher bedarf es dringend unterjährig einer Erhöhung der Regelsätze.
Zu 2: Bezahlbaren und Barrierefreien Wohnraum schaffen
Um dem Wohnungsmangel zu begegnen, müssen mehr bezahlbare, sozialräumlich gut angeschlossene und barrierefreie Wohnungen mit unbefristeter Sozialbindung geschaffen werden. Ohne diese sind viele Ansätze der Inklusion und die Möglichkeit von Menschen mit Behinderung, sich ihre Unterstützung auch außerhalb von besonderen Wohnformen zu organisieren, zum Scheitern verurteilt.
Die Vergabe von Mitteln für den sozialen Wohnungsbau ist daran zu binden, dass mindestens 10 Prozent barrierefreie Wohnungen entstehen. Außerdem muss – wie im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben – das Programm „Altersgerecht umbauen" der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) dem wachsenden Bedarf entsprechend angepasst und mindestens verdoppelt werden.
Digitale Teilhabe für Menschen mit Behinderung ermöglichen

Die Digitalisierung bietet für Menschen mit Behinderung viele Möglichkeiten der Kommunikation und Teilhabe. Haben Menschen mit Behinderung keinen Zugang zur digitalen Welt, laufen sie Gefahr, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden.
Der Hinweis im Koalitionsvertrag, Wege hin zu einer besseren digitalen Teilhabe für alle z.B. durch Barrierefreiheit zu prüfen, ist viel zu wenig. Es braucht vielmehr eine Finanzierung sowohl von Hard- und Software als auch der erforderlichen Assistenz.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Eine Pauschale zur Ausstattung mit der erforderlichen Hard- und Software sowie der Kosten für eine Internetverbindung, um Menschen mit Behinderung digitale Teilhabe zu ermöglichen.
- Den Bedarf an Assistenz zur digitalen Teilhabe für Menschen insbesondere mit geistiger Beeinträchtigung anzuerkennen und im Rahmen der Eingliederungshilfe zu finanzieren.
Selbstvertreter*innen beteiligen – politische Teilhabe ist unverzichtbar

Bildung, Arbeit, Wohnen – seit ihrer Gründung vor über 60 Jahren setzt sich die Lebenshilfe dafür ein, dass Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in unserer Gesellschaft mehr teilhaben. Während damals vor allem Eltern und Fachleute stellvertretend für die Rechte der Menschen mit geistiger Behinderung gekämpft haben, treten heute die Menschen mit geistiger Behinderung selbst mehr und mehr als Selbstvertreter*innen für ihre Belange ein.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Verbände müssen an der Vorbereitung, Beratung und Evaluation von für sie relevanter Gesetzgebung beteiligt werden. Die Beteiligungsprozesse sind barrierefrei zu gestalten und sollten auch Formate für Selbstvertreter*innen mit sogenannter geistiger Behinderung umfassen.