Selbstbestimmt und vielfältig: Wohnen mit Behinderung
Für viele Menschen mit Behinderung ist selbstbestimmtes und inklusives Wohnen noch keine Selbstverständlichkeit. Doch es entstehen immer mehr neue Wohnmodelle, die Alternativen schaffen. Die Lebenshilfe setzt sich für vielfältige Wohnformen ein, die sich nach den Vorstellungen von Menschen mit Behinderung richten.
Wohnen mit Behinderung und das Recht auf Teilhabe

Alle Menschen in Deutschland haben das Recht auszuwählen:
- Wo sie leben möchten.
- Wie sie leben möchten.
- Mit wem sie leben möchten.
Das gilt auch für Menschen mit Beeinträchtigung, unabhängig davon, wie hoch ihr Unterstützungsbedarf ist. So ist es in der UN-Behindertenrechtskonvention geregelt. Die Vertragsstaaten müssen dafür sorgen, dass
Auszug aus Artikel 19[...] Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben [...]
UN-BRK
Dieses Recht ist auch im Bundesteilhabegesetz (BTHG) verankert und zielt darauf ab, den persönlichen Wohnbedürfnissen und Vorlieben gerecht zu werden. Man spricht hier vom sogenannten Wunsch- und Wahlrecht. Das bedeutet, dass Menschen mit Beeinträchtigung das Recht haben, selbst zu entscheiden, wo und wie sie wohnen möchten. Dieses Recht gilt auch für Menschen mit komplexen Behinderungen.
Wunsch- und Wahlrecht bedeutet:
- Freie Wohnortwahl: Menschen mit Unterstützungsbedarf können selbst entscheiden, ob sie in einer eigenen Wohnung, in einer inklusiven Wohngemeinschaft oder in einer gemeinschaftlichen Wohnform leben möchten.
- Berücksichtigung des persönlichen Willens: Behörden und Leistungsträger sind verpflichtet, die persönlichen Wünsche und Vorstellungen der Menschen mit Beeinträchtigungen in Bezug auf ihre Wohnsituation zu berücksichtigen.
- Selbstbestimmtes Leben: Das Ziel ist, den Menschen mit Beeinträchtigung die größtmögliche Selbstbestimmung zu ermöglichen, anstatt sie in vorgegebene Wohnstrukturen zu drängen.
Mit der Einführung des BTHG im Jahr 2020 wurde das Recht der Eingliederungshilfe neu geregelt. Das betrifft auch die Unterstützung beim Wohnen. Die Änderungen durch das BTHG erläutern wir auf unserer Webseite:
UN-BRK: Mehr Selbstbestimmung und Teilhabe

In Deutschland gibt es immer noch erhebliche Herausforderungen im Bereich des Wohnens für Menschen mit Beeinträchtigung, trotz der beschriebenen gesetzlicher Vorgaben. Die Vereinten Nationen haben Deutschland im Jahr 2023 erneut geprüft.
Dabei ging es unter anderem um das Thema Wohnen für Menschen mit Behinderung. Die UN kritisiert, dass in Deutschland noch immer viele Menschen in großen Einrichtungen leben müssen, weil es zu wenige Alternativen gibt. Das widerspricht dem Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention: Menschen mit Behinderung sollen selbst entscheiden können, wo und mit wem sie leben möchten.
Der Ausschuss fordert Deutschland deshalb auf, die Deinstitutionalisierung konsequenter voranzutreiben. Das bedeutet, den Übergang von besonderen Wohnformen hin zu selbstbestimmten Wohnformen in der Gemeinschaft. Es benötigt konkrete Schritte, damit Menschen mit Beeinträchtigungen nicht mehr auf ein Leben in Einrichtungen angewiesen sind, sondern mit passender Unterstützung selbstbestimmt leben können. Dazu gehören barrierefreie Wohnungen, personenzentrierte Assistenzleistungen im Hilfe-Mix und Hilfsmittel im Alltag.
Probleme beim Übergang zu selbstbestimmten Wohnformen
- Mangel an barrierefreien und bezahlbaren Wohnmöglichkeiten
- Unzureichende Finanzierung und Unterstützung für den Umbau bestehender Wohnräume oder den Bau von barrierefreien Wohnungen (in ländlichen Regionen ist die Versorgung oft schlechter als in städtischen Gebieten)
- Keine bedarfsgerechte Finanzierung von Assistenzleistungen oder Hilfsmitteln
- Fachkräftemangel, der die Entstehung passender Unterstützungsangebote hemmt
- Unterschiede zwischen den Bundesländern: Es fehlt eine gemeinsame Strategie, wie das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen überall in Deutschland umgesetzt werden kann
Zahlen und Fakten über das Wohnen mit Beeinträchtigung in Deutschland

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS) sammelt und vergleicht regelmäßig Daten zur Eingliederungshilfe in ganz Deutschland.
Der Kennzahlenvergleich aus dem März 2025 enthält allgemeine Zahlen und Fakten aus dem Jahr 2023 zur sozialen Teilhabe im Bereich Wohnen.
Allgemeine Zahlen zur Eingliederungshilfe in Deutschland:
- Ende 2023 erhielten 472.510 volljährige Menschen mit Behinderungen Leistungen zur sozialen Teilhabe im Bereich Wohnen. Das sind rund 6.635 Personen mehr als im Vorjahr.
- Die sogenannte „Ambulantisierungsquote“ ist in den letzten Jahren bundesweit stetig angestiegen.
Hinweis: Das Bundesteilhabegesetz wollte mit der Schaffung personenzentrierter Leistungen das selbstbestimmte Wohnen stärken. Trotzdem leben weiterhin fast die Hälfte der Menschen mit Beeinträchtigung in besonderen Wohnformen.
Zahlen zu besonderen Wohnformen
- 191.640 Personen in Deutschland leben in besonderen Wohnformen.
- 277.516 Personen erhielten Assistenzleistungen außerhalb besonderer Wohnformen, z. B. in der eigenen Wohnung.
- Fast zwei Drittel der Menschen, die in einer besonderen Wohnform leben, sind Personen mit einer sogenannten geistigen Behinderung (64 %).
- Auch Menschen mit komplexen Behinderungen leben überdurchschnittlich häufig in besonderen Wohnformen.
Welche Wohnformen gibt es?
Menschen sind sehr unterschiedlich und es gibt keine Wohnform, die für alle Menschen passend ist. Deshalb braucht es Wahlmöglichkeiten beim Wohnen: “Wichtig ist, dass der Mensch gerne lebt, wo er wohnt”, sagt der Rat behinderter Menschen der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
Rat behinderter MenschenAlle Menschen sollen so lange wie möglich und so lange sie es wollen in ihrer eigenen Wohnung und im gewohnten Umfeld leben können. Wenn ein Mensch Hilfe beim Wohnen braucht, soll er sie dort erhalten, wo er wohnt, wo er sich wohlfühlt und wo er leben will.
Bundesvereinigung Lebenshilfe
Denn wer sich in seinem Zuhause wohl und sicher fühlt, kann Kraft für den Alltag tanken. Man kann Beziehungen zu den Nachbarn aufbauen und sich in seinem Kiez, seinem Viertel oder seiner Nachbarschaft engagieren. So entstehen Zugehörigkeit und Teilhabe.
Deshalb sind Wahlmöglichkeiten besonders wichtig. Es gibt mittlerweile sehr vielfältige Wohnformen für Menschen mit Beeinträchtigung. Zur Orientierung stellen wir ausgewählte Beispiele mit ihren jeweiligen Chancen und Herausforderungen vor. Dabei ist die folgende Einteilung nicht immer eindeutig voneinander zu trennen und es gibt darüber hinaus noch viele weitere Wohnformen.

Wohnen in der eigenen Wohnung
Das Leben in der eigenen Wohnung kann eine umfassende Selbstbestimmung und Unabhängigkeit bieten. Hier haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit:
- Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen
- Die Tagesstruktur selbst zu organisieren
- Ihre privaten Räume nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten
Für viele Menschen mit Behinderung ist das Leben in der eigenen Wohnung oft nur möglich, wenn diese an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst ist. Wichtig dafür sind beispielsweise eine barrierefreie Wohnung oder auskömmliche Assistenzleistungen. Je nach Wohnort kann es grundsätzlich schwierig sein, eine Wohnung zu finden. Insbesondere dann, wenn es um barrierefreie Wohnungen geht. Außerdem kann die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung eine große Herausforderung darstellen.
Das Leben in der eigenen Wohnung hat viele Vorteile. Wenn man aber keinen Kontakt zu Nachbarn oder der Umgebung hat, kann das auch einsam machen. Um am sozialen Leben in der Nachbarschaft teilzuhaben, braucht es manchmal Unterstützung. Deshalb ist es wichtig, dass Wohnangebote auch sozialraumorientiert sind.
Sozialraumorientierung bedeutet, dass Wohnangebote nicht isoliert oder institutionell gestaltet werden, sondern aktiv in das gesellschaftliche Umfeld eingebettet sind. Ziel ist es, Menschen ein Leben mitten in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Sozialraumorientierte Wohnformen unterstützen Menschen mit Beeinträchtigung dabei, selbst zu entscheiden, wie und mit wem sie leben möchten, und ihr Umfeld aktiv mitzugestalten. Dazu gehören:
- Fachkräfte
- Nachbarschaften
- Vereine
- Treffpunkte
So können vielfältige Begegnungen, Teilhabe im Alltag und Empowerment entstehen.
Auf einen Blick:
- Selbstbestimmung: eigene Entscheidungen treffen, z. B. über Tagesablauf, Wohnraumgestaltung, Besuch
- Privatsphäre: Rückzugsort, Schutz der Intimsphäre
- Individuelle Lebensgestaltung: angepasst an persönliche Vorlieben und Bedürfnisse
- Teilhabe am Gemeinwesen: Leben mitten in der Gesellschaft, Nachbarschaftskontakte, gesellschaftliches Engagement als Bürger
- Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit: durch mehr Eigenverantwortung und Unabhängigkeit
- Koordinationsaufwand: mehrere Dienste (Pflege, Assistenz, Haushalt) müssen selbst organisiert und abgestimmt werden
- Finanzielle Hürden: z. B. beim Umbau zu einer barrierefreien Wohnung
- Wohnraummangel: barrierefreie und bezahlbare Wohnungen sind oft schwer zu finden
- Soziale Isolation: Gefahr der Vereinsamung und fehlende stabile soziale Netzwerke
Der Schauspieler und Maler Nico Randel lebt seit einigen Jahren in seiner eigenen Wohnung in der Nähe von Köln und gibt Einblick in seinen Alltag. Er hat das Down-Syndrom.

Inklusive Wohngemeinschaften
In einer inklusiven WG teilen sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung eine Wohnung oder ein Haus. Alle Bewohner*innen leben gleichberechtigt zusammen und gestalten ihren Alltag gemeinsam.
Ein wichtiges Prinzip einer inklusiven WG ist die Selbstbestimmung und Partizipation der Bewohner*innen. Menschen mit Behinderung haben in einer solchen Wohngemeinschaft die Möglichkeit, ihren Alltag nach ihren eigenen Vorstellungen innerhalb einer Gemeinschaft zu gestalten, unterstützt von ihren Mitbewohner*innen oder von externen Fachkräften. Die Aufgaben im Haushalt (z. B. Einkaufen, Kochen, Putzen) werden häufig gemeinschaftlich organisiert.
Ein Modell ist das Zusammenleben von Menschen mit Beeinträchtigung und Studierenden. Letztere wohnen oft zu einer reduzierten Miete oder sogar mietfrei in der WG. Im Gegenzug übernehmen sie eine Anzahl an Stunden für unterstützende Tätigkeiten im Alltag. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Fachleistungen, da die Studierenden keine ausgebildeten Fachkräfte sind. Zusätzlich stehen in diesen Wohnformen, je nach Bedarf, qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung. Sie sind für Assistenzleistungen im Sinne von Fachleistungen, Anleitung der Laienkräfte und für die Pflege zuständig.
Für Vereine oder Gruppen, die solche inklusiven Wohnprojekten gründen, kann es herausfordernd sein, vertragliche Regelungen zu gestalten. Eine sorgfältige rechtliche Ausgestaltung ist jedoch notwendig, um die Gemeinnützigkeit nicht zu gefährden.
Auf einen Blick:
- Soziale Teilhabe: Gemeinsames Wohnen fördert soziale Kontakte innerhalb und außerhalb der WG und beugt Einsamkeit vor.
- Selbstbestimmung: Bewohner*innen können ihren Alltag weitgehend selbst gestalten.
- Alltagsunterstützung: Unterstützung durch Mitbewohner*innen (mit und ohne Beeinträchtigung) oder Assistenzkräfte ist direkt verfügbar, bei Bedarf auch nachts
- Kosteneffizienz: Geteilte Wohnkosten machen das Leben oft günstiger als in Einzelwohnungen.
- Konfliktpotenzial: Unterschiedliche Bedürfnisse und Lebensstile können zu Spannungen führen. Einen passenden Platz in einer WG zu finden, kann schwierig werden.
- Fluktuation der Mitbewohner*innen: Man muss sich regelmäßig auf neue Mitbewohner*innen einstellen. Oft ziehen studierende Mitbewohner*innen aus, wenn sie ihr Studium beendet haben oder eine andere Wohnsituation wünschen.
- Begrenzte Privatsphäre: Gemeinschaftliches Wohnen bedeutet weniger Rückzugsraum.
- Organisatorischer Aufwand: Koordination von Assistenz, Mietverträgen und Alltagsregeln kann komplex sein.
Wohngemeinschaft Connewitz e. V.
Für acht junge Menschen mit Beeinträchtigung entstand im Frühjahr 2018 ein neues Zuhause nach dem Auszug aus dem Elternhaus. Die Unterstützung soll ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung ermöglichen sowie eine abwechslungsreiche individuelle Freizeitgestaltung. Außerdem fühlen sie sich zu ihrem Stadtteil Connewitz zugehörig und suchen den Kontakt zu Einrichtungen und Akteuren vor Ort, um gemeinsam zu überlegen, wie sie gemeinschaftliche Aktivitäten von Menschen mit und ohne Behinderung im Stadtteil fördern können.
Projekt IWoK
Die Interessensgemeinschaft Inklusives Wohnen ist ein Zusammenschluss von Eltern, die sich zum Ziel gesetzt haben, familiäre Wohngemeinschaften aufzubauen, damit Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen von verschiedenen Fachkräften bis zu 24 Stunden begleitet und mitten in der Gesellschaft leben können. Wichtig ist dabei, dass die Strukturen in der WG auf die Wünsche und den individuellen Bedarf der Bewohner*innen ausgerichtet sind.
Weiterführende Informationen zum Thema "Wohnen mit Behinderung"
- Inklusion – Wohnen – Sozialraum Grundlagen des Index für Inklusion zum Wohnen in der Gemeinde. Ein Angebot der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
- Wohngeld beantragen Ein Ratgeber der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
- Wohn- und Betreuungsverträge Ein FAQ der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
- Leitfaden zur Gründung von Wohngemeinschaften Ein Angebot der Lebenshilfe in Leichter Sprache.
- Wohnformen für Menschen mit Behinderung Ein Angebot der Aktion Mensch.
- Das Recht der Eingliederungshilfe Ein Ratgeber zu den Leistungen der Eingliederungshilfe. Ein Angebot der Bundesvereinigung Lebenshilfe.