Frauenbeauftrage in Werkstätten für Menschen mit Behinderung
© Lebenshilfe/David Maurer
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Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung #Teilhabe #Inklusion

Teilhabe am Arbeitsleben: Auf dem Weg zu inklusiver Arbeit und gerechter Entlohnung

Die Lebenshilfe fordert eine Reform der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Ziel ist die langfristige Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes und eine gerechte Entlohnung von Menschen mit Behinderung. Neun Kriterien sollen bei der Reform Beachtung finden.

Hintergrund zum Positionspapier zur Teilhabe am Arbeitsleben

Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung
© Lebenshilfe/David Maurer

Die Arbeitswelt in Deutschland muss inklusiver werden. Das ist keine neue Forderung. So hat der Fachausschuss der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bereits 2015 den exklusiven Arbeitsmarkt in Deutschland und das bestehende – wenig durchlässige – WfbM-System gerügt. Dennoch hat sich die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung bisher wenig gebessert.

Und auch die Kritik an der Bezahlung in den WfbM gibt es seit vielen Jahren. Viele Werkstattbeschäftigte empfinden das Entgeltsystem als ungerecht. Der Mindestlohn gilt nicht für sie nicht, weshalb viele trotz Vollzeitarbeit auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind.

Diese Kritik hat der 19. Bundestag aufgegriffen. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, eine Studie in Auftrag zu geben, um ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfestes Entgeltsystem in WfbM zu entwickeln und um zu untersuchen, wie Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert werden können. Der erste Zwischenbericht dieser Studie liegt seit Oktober 2021, der zweite Zwischenbericht seit September 2022 vor. Der Abschlussbericht ist für Ende 2022/ Anfang 2023 angekündigt.

Der Weg zum Positionspapier

In einem umfangreichen einjährigen Diskussionsprozess haben die Gremien der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. eine Positionierung zur Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt.

Ziele und Forderungen der Lebenshilfe

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. fordert, dass bei der anstehenden Reform der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zwei große Ziele verfolgt werden:

Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung
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  1. Inklusiver Arbeitsmarkt: Die langfristige Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Die Leistungen sollen den Bedürfnissen und Bedarfen von Menschen mit Behinderung gerecht werden und Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf stärker miteinbeziehen. Umfassende Teilhabe und Inklusion im Sinne der UN-BRK muss gewährleistet werden.
  2. Gerechte Entlohnung: Eine gerechte Entlohnung für die Arbeit von Menschen mit Behinderung, so dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können und auch im Alter abgesichert sind.

Zur Erreichung dieser Ziele sind aus Sicht der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. neun Kriterien bei den Reformen zu beachten. Diese sind im Folgenden in Kurzform aufgelistet:

Präambel: Inklusion

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. fordert im Einklang mit der UN-BRK die Schaffung und Weiterentwicklung hin zu einem inklusiven und frei zugänglichen Arbeitsmarkt.

  1. Personenzentrierung: Personenzentrierung und Selbstbestimmung muss auch für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gelten. Für Menschen mit Behinderung darf es keinen Unterschied machen, welchen Ort sie für die Leistungserbringung wählen. Sie sollen frei darin sein, ihre Teilhabeleistungen nach ihrem jeweiligen Bedarf und eigenen Wünschen auch in inklusiven Settings und unabhängig von der Beschäftigung in einer WfbM zu erhalten.
  2. Arbeitsrechte: Arbeitende Menschen, auch wenn sie behinderungsbedingt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem SGB IX (LTA) beziehen, sollten die gleichen Arbeitnehmer*innenrechte haben, wie Menschen ohne Behinderung. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob ihr Arbeitsplatz ein inklusiver und ggf. geförderter Arbeitsplatz ist oder nicht.
  3. Anspruch auf einen Arbeitsplatz: Menschen, die auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen sind, sollen auch in Zukunft ihren Anspruch auf einen solchen Arbeitsplatz behalten. Wenn sie nicht selbst einen Arbeitsplatz finden, haben wohnortnahe WfbM oder andere Anbieter ihnen einen Arbeitsplatz anzubieten.  Die aktuelle Arbeitsplatzgarantie, welche in WfbM besteht, gilt es beizubehalten und weiterzuentwickeln.
  4. Kein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit: Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf müssen Zugang zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben. Das Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit für den Zugang zur Teilhabe am Arbeitsleben soll künftig entfallen und die Leistungen sollen diskriminierungsfrei allen Menschen mit Behinderung offenstehen.
  5. Die Kompetenz von Werkstätten nutzen: WfbM erfüllen wichtige Funktionen, wie das Bereitstellen von Arbeitsplätzen, die Unterstützung bei der Arbeit, berufliche Rehabilitation, Bildung und soziale Teilhabe.  Alle fünf Funktionen sollen in einer personenzentrierten, flexiblen und inklusiven Struktur erhalten bleiben und sollen durch WfbM als Kompetenzzentren und inklusiven Leistungsanbietern bereitgestellt werden.
  6. Bildung und Ausbildung stärken: Berufsorientierung, arbeitsplatzbezogene berufliche Bildung sowie berufliche Fort- und Weiterbildung sind wichtige Voraussetzungen für selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben. Hierfür braucht es bspw. Qualifizierung auf konkrete Arbeitsplätze und inklusive Berufsschulen, die anerkannte Berufsabschlüsse mit verschiedenen Modulen anbieten.
  7. Mehr inklusive Arbeitsplätze: Der allgemeine Arbeitsmarkt in Deutschland ist nicht inklusiv. Die Zahl an inklusiven, barrierefreien Arbeitsplätzen in allen Unternehmen muss ausgebaut werden. Die Lebenshilfe sieht neben der öffentlichen Hand als Arbeitgeber vor allem den sozialen Sektor und auch die Lebenshilfe-Vereine und -Leistungserbringer selbst in der Pflicht, als Vorbild und Vorreiter*in voranzugehen und verstärkt Arbeitgeber*in für Menschen mit Behinderung und insbesondere aus WfbM zu werden.
  8. Unabhängigkeit von Grundsicherungsleistungen: Knapp ein Drittel der Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sind heute auf ergänzende Grundsicherung angewiesen. Ein neues Entgeltsystem muss so ausgestaltet sein, dass es Menschen mit Behinderung unabhängig von existenzsichernden Leistungen macht.
  9. Finanzielle Sicherheit auch im Alter: Menschen mit Behinderung sollten auch im Alter unabhängig von existenzsichernden Leistungen leben können. Eine angemessene Alterssicherung ist unverzichtbar. Der rentenrechtliche Status quo ist somit im Rahmen der künftigen Reformen ein unbedingt aufrechtzuerhaltender Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderung.
Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung
© Lebenshilfe/David Maurer

Modelle zur Weiterentwicklung des WfbM-Entgelts

Zur Weiterentwicklung des Entgeltsystems in WfbM werden aktuell verschiedene Modelle diskutiert. Die folgenden vier Modelle (in Kurzfassung) wurden von der Lebenshilfe beraten und anhand der Kriterien überprüft und bewertet.

Basisgeld

Werkstatträte Deutschland haben ein eigenes Konzept für eine gerechte Entlohnung in der WfbM entwickelt – das Basisgeld in WfbM. Menschen mit einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung erhalten eine Geldleistung in Höhe von 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoentgelts von Arbeitnehmer*innen in Deutschland. Zusätzlich werden Grundbetrag und Steigerungsbetrag ausgezahlt.

Einschätzung: Die Lebenshilfe begrüßt den Vorschlag grundsätzlich. Auch der Rat behinderter Menschen der Lebenshilfe findet den Vorschlag gut.

Subventionierter Mindest-/ Tariflohn

Das Werkstatt Entgelt der Beschäftigten soll sich am gesetzlichen Mindest- bzw. Tariflohn orientieren.

Einschätzung: Die Lebenshilfe findet, dass dieses Modell die Arbeit von Menschen mit Behinderung gerecht und angemessen entlohnen könnte und anderseits einen fließenden und flexiblen Wechsel zwischen unterstützter Arbeit und Arbeit ohne Unterstützung erreichen kann. Die Herausforderungen könnten hier bei der Finanzierung und der Umsetzung der Personenzentrierung von Leistungen liegen.

Bedingtes Grundeinkommen für Menschen mit Behinderung

Das bedingte Grundeinkommen ist eine Lohnersatzleistung, welche unabhängig von den geleisteten Stunden auch bei Teilzeitmodellen gezahlt werden würde. Die Höhe des bedingten Grundeinkommens sollte knapp oberhalb der Grundsicherung liegen.

Einschätzung: Die Lebenshilfe sieht in diesem Modell eine angemessene und begrüßenswerte Weiterentwicklung der aktuellen Entlohnung in WfbM. Der Vorschlag wäre auch anschlussfähig an die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf ein Bürgergeld.

Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes und Anrechnungsfreiheit der WfbM-Entgelte

Der Vorschlag sieht eine Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes vor und damit einhergehend eine 100 prozentige Anrechnungsfreiheit der WfbM-Entgelte bei der Grundsicherung, sodass WfbM Beschäftigte unmittelbar mehr Geld zum Lebensunterhalt zur Verfügung hätten.

Einschätzung: Die Lebenshilfe findet, dass dieser Vorschlag keine Grundsicherungsfreiheit für Menschen mit Behinderung bedeuten würde, und dass das Modell keinen Beitrag zu einer inklusiveren Arbeitswelt leisten würde.

Weitere Links zur Teilhabe am Arbeitsleben

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