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Familie

Migration und Behinderung

Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund können mehrfach benachteiligt sein. Denn nicht nur ein bestimmter Aufenthaltsstatus, sondern auch Sprachbarrieren, Informationslücken und Ängste können ihnen und ihren Angehörigen den Zugang zu bestehenden Angeboten erschweren. Deshalb muss es für sie maßgeschneiderte Formen der Beratung und Selbsthilfe geben.

Aktuelles zu Migration und Behinderung

Was ist Migration?

Migration gibt es schon immer – und es gibt sie weltweit. Migration bedeutet, dass eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt. Das kann innerhalb eines Landes sein oder auch über Staatsgrenzen hinweg. Wenn wir heute von Migration sprechen, geht es meistens um die internationale Migration. Die Ursachen für Migration sind vielfältig und für die Entscheidung zur Migration gibt es meist mehrere, ineinander verwobene Gründe. So wandern beispielsweise Verliebte freiwillig aus, um zu ihren Partner*innen zu ziehen.  Entweder, weil sie ein anderes Land kennen lernen wollen oder weil ein Zusammenleben im eigenen Land nicht möglich wäre. Andere verlassen ihr Land, um Arbeit zu finden und ihre Familien zu versorgen. Kriege zwingen Menschen zur Flucht, weil sie sonst ihr Leben verlieren könnten.

Wer sind Menschen mit Migrationshintergrund?

Die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund ist ebenso vielfältig und bunt wie die Gründe für Migration. Die aktuelle Definition des Statistischen Bundesamtes von Menschen mit Migrationshintergrund lautet:

„Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde."

Zu dieser Gruppe von Menschen gehören also nicht nur Menschen unterschiedlicher Herkunft, sondern auch junge und alte Menschen jeden Geschlechts und unterschiedlichen sozialen und Bildungshintergrunds. Das sind Menschen, die in Deutschland geboren wurden oder neu zugewandert sind, Menschen mit und ohne Behinderung. Der Begriff Menschen mit Migrationshintergrund ist also eine Sammelbezeichnung für die heterogene Gruppe der Zugewanderten und ihrer Nachkommen.

Welche Folgen haben Migration und Behinderung?

In der Fachliteratur wird von einer mehrfachen Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung gesprochen. Diese kann aufgrund von unterschiedlichen Dimensionen von Ungleichheit entstehen. Zum Beispiel können Behinderung, Migrationshintergrund und Geschlecht als Abgrenzungsmerkmale zusammenwirken und zu Ausgrenzung oder Diskriminierung führen. Das Phänomen des Zusammenwirkens dieser unterschiedlicher Differenzkategorien, die einige Menschen privilegieren und andere diskriminieren, nennt man in der Wissenschaft Intersektionalität.

Dabei müssen allerdings die Merkmale eingewandert und behindert im Einzelfall nicht zwangsläufig zu einer mehrfachen Benachteiligung oder Ausgrenzung führen. Für eine Bewertung der persönlich empfundenen Benachteiligung sollte immer der Einzelfall betrachtet werden.

Was brauchen Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund und ihre Angehörigen?

Spezifische Formen der Selbsthilfe sind wichtig.
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Spezifische Formen der Selbsthilfe sind wichtig.

Es ist wichtig, vorhandene Selbsthilfestrukturen für Angehörige von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund zu öffnen. Und so durch eine Willkommenskultur auch diese Menschen zu erreichen.

Aber das allein reicht nicht aus. Notwendig sind auch spezifische Formen der Selbsthilfe. Denn Sprachbarrieren, Informationslücken und unterschiedliche Ängste erschweren Angehörigen von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund den Zugang zu bereits vorhandenen Angeboten. Die Scham und die Angst vor Vorurteilen, auch von Seiten ihrer Herkunftsgemeinschaft, sind nicht zu unterschätzen. Viele Betroffene suchen daher Gleichgesinnte, die ihre Muttersprache sprechen und ihre Situation verstehen, zu denen sie aber dennoch eine gewisse Distanz wahren können. Das ist eine der Erkenntnisse aus mehreren Projekten der Bundesvereinigung Lebenshilfe.  

Welche Auswirkungen hat die Migration auf die Lebenshilfe?

Die Lebenshilfe hat viele Klienten mit Migrationshintergrund.
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Die Lebenshilfe hat viele Klient*innen mit Migrationshintergrund.

Deutschland ist heute ein Einwanderungsland. Im jahr 2020 war mehr als ein Viertel der Bevölkerung entweder selbst nach Deutschland eingewandert oder hat zumindest einen Elternteil, der im Ausland geboren wurde.

Das zeigt sich auch in den Diensten und Einrichtungen der Lebenshilfe: In den Bereichen Frühförderung, Kita und Ambulante Familienhilfe machen eingewanderte Familien mit Kindern mit Behinderung einen erheblichen Teil der Klienten aus. Diese Entwicklung hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebenshilfe. Daher ist es wichtig, sich auf das Klientel einzustellen und sich konzeptionell mit dem Thema Vielfalt und Teilhabe von allen Menschen zu beschäftigen. Es müssen Ideen entwickelt und umgesetzt werden, um Menschen zu erreichen und die Selbsthilfe von Menschen mit Migrationshintergrund zu stärken.

Eine konzeptionelle Beschäftigung mit den Themen Vielfalt und Teilhabe beinhaltet nicht nur, sich auf die Klientel einzustellen, sondern auch, Menschen mit Migrationshintergrund auf allen Ebenen der Vereinsstrukturen einzubinden. Hierfür müssen Menschen mit Migrationshintergrund zur aktiven Mitarbeit in den Vereinsstrukturen motiviert werden. Das bedeutet, dass die Lebenshilfe Menschen mit Migrationshintergrund als Mitglieder, als Kolleg*innen und auch als ehrenamtliche Vorstände gewinnen will. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat sich auf den Weg gemacht: Sie entwickelt dafür aktuell mit einer Gruppe aus sieben Vertreter*innen der Bundes-, Landes- und Ortsebene Umsetzungsstrategien. Die Gruppe besteht aus Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Letzte Projekte der Lebenshilfe

Migration-Behinderung-Selbsthilfe

Zur Stärkung und Förderung der Selbsthilfe von Angehörigen mit Migrationshintergrund hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe ein dreijähriges Modellprojekt im September 2020 erfolgreich beendet. Das Projekt wurde vom Bundesverband der AOK und der AOK Baden-Württemberg gefördert. Während des Projektzeitraumes wurde eine türkisch-deutsche Selbsthilfeplattform mit Namen "Kendimiz" gegründet. Außerdem sind an drei Standorten sehr unterschiedliche Selbsthilfegruppen entstanden (und zwar in Köln, Berlin und Frankfurt am Main).

Auf der Basis der Ergebnisse aus dem Modellprojekt hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe eine kommentierte Checkliste erstellt. Neben den einzelnen Umsetzungsschritten bildet sie auch die Gründungsphasen kultursensibler Selbsthilfegruppen ab und enthält wichtige Tipps und Hinweise.

Für uns mit uns

Auch weiterhin will die Bundesvereinigung Lebenshilfe die Selbsthilfe von Angehörigen von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund stärken. Im Anschluss an das im September 2020 ausgelaufene Projekt „Migration-Behinderung-Selbsthilfe“ wurde das dreijährige Projekt „Für uns mit uns“ konzipiert und mit Hilfe der Förderung durch Aktion Mensch umgesetzt. Das Projekt zielt auf eine Sensibilisierung für das Thema Migration und Behinderung und eine weitere Verbreitung von kultursensiblen Selbsthilfegruppen innerhalb der Lebenshilfe ab. Außerdem geht es um eine bessere Vernetzung der Selbsthilfestrukturen.

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an Dr. Silva Demirci.

Ergebnisse der letzten Projekte

Kommentierte Checkliste zur Gründung kultursensibler Selbsthilfegruppen

Titelseite Kultursensible Selbsthilfegruppen gründen

Mit dieser Checkliste möchte die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. Menschen, die eine Selbsthilfegruppe gründen möchten und Mitarbeitenden von Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe eine erste Orientierung bieten. Diese Arbeitshilfe wurde für die kultursensible Selbsthilfe im Bereich der Behindertenarbeit entwickelt. Ihre Übertragung oder Modifizierung ist auch auf andere Bereiche der Selbsthilfe möglich.

Forderungen der Expert*innengruppe Kultursensible Selbsthilfe

Expert*innengruppe Kultursensible Selbsthilfe
Expert*innengruppe Kultursensible Selbsthilfe.

Deutschland hat sich nach der Ratifizierung 2009 zur UN-Behindertenrechtskonvention bekannt, womit die Teilhabe aller Menschen als Ziel formuliert wurde. Die Selbsthilfe ist ein partizipatives Element der Teilhabe. Daher sind eine strukturelle Verankerung und dauerhafte Finanzierung der Selbsthilfe unabdingbar. Das gilt im besonderen Maße für kultursensible und bedarfsspezifische Selbsthilfegruppen. Sie benötigen eine kontinuierliche und längerfristige Begleitung.

In einem Forderungspapier wurden die gemeinsamen Forderungen der Expert*innengruppe Kultursensible Selbsthilfe an die Politik zur nachhaltigen Etablierung der Selbsthilfe als diversitätssensibles Angebot festgehalten. Das Dokument finden Sie hier bei den Ergebnissen unserer Projekte.

Lebenshilfe-Netzwerk kultursensible Arbeit

Gruppenbild vom Lebenshilfe-Netzwerktreffen kultursensible Arbeit

Das stetig wachsende Lebenshilfe-Netzwerk „Kultursensible Arbeit“ wurde 2021 im Rahmen des dreijährigen Projektes „Für uns mit uns“ der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. ins Leben gerufen. Das Netzwerk verbindet deutschlandweit Mitarbeitende der Lebenshilfen, die sich professionell mit dem Thema Migration und Behinderung beschäftigen und/oder sich in einem kulturell vielfältigen Arbeitsumfeld bewegen. Die Verbindung im Netzwerk ermöglicht einen schnellen persönlichen Austausch und direkte Information zu unterschiedlichsten Fragen.

Sie arbeiten bei der Lebenshilfe und interessieren sich für eine aktive Mitwirkung im Netzwerk kultursensible Arbeit?
Bitte schreiben Sie an das Netzwerk Kultursensible Arbeit.

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